„Hoffentlich ist der Krieg bald zu Ende!“ Zeitzeugin Anna Preckel über Ostbevern in den letzten Kriegstagen ’45

Eigentlich sollte November letzten Jahres an der Loburg ein Zeitzeugengespräch mit Anna Preckel stattfinden. Das Thema des Gesprächs sollten die letzten Kriegstage in der Gemeinde Ostbevern sein. Aufgrund der Corona-Pandemie musste diese interessante Veranstaltung leider ausfallen. Aber dies ist nicht das Einzige, was in diesem Zuge abgesagt werden musste. Die Bili- Prep- AG hat eine Ausstellung zu dem Thema Holocaust vorbereitet. Diese besteht aus Plakaten, die über das Schulgelände verteilt sind und veranschaulichen, welche Folgen der Holocaust auch für Unbeteiligte hatte. Thematisiert werden die Geschichten von verschiedenen Menschen.Die LoNews haben trotzdem Wege gefunden, euch von Frau Preckels Wissen über dieses Thema zu berichten. Wir haben online ein Interview mit Frau Preckel durchgeführt.

Besonders heftig waren in Ostbevern die letzten Kriegstage. Wie war unsere Gemeinde in den Krieg verwickelt und warum hatten in Ostbevern die letzten Kriegstage eine so große Bedeutung?

Nach der Einnahme von Münster durch die Truppen der Westmächte war die Beverniederung nach Osten hin der einzige Rückzugsweg aller deutschen Verbände in diesem Raum. Diese Fluchtmöglichkeit wurde jedoch am zweiten Ostertag (02. April 1945) von einer amerikanischen Einheit abgeschnitten. Diese Einheit war während der Kämpfe in Münster nördlich und südlich der Stadt vorbeimarschiert und bewegte sich aus Richtung Greven auf Ostbevern zu. Und hier stießen diese Truppen auf deutsche Gegenwehr, die sich in Ostbevern verschanzt hatten oder sich im Rückzug dort noch aufhielten.

Das Dorf wurde bereits vor den großen Schlachten, die  am 2. April gegen 22 Uhr stattfanden, den Amerikanern offiziell übergeben. Warum wurde dennoch so erbittert gekämpft?

Amtsrentmeister Reckermann hatte am 02. April, 22.00 Uhr in Vertretung des flüchtigen Amtsbürgermeister Haase die weiße Flagge gehisst und die Versicherung abgegeben, dass keine deutschen Soldaten mehr im Ort seien. Der Krieg schien für Ostbevern zu Ende zu sein. Dies war jedoch ein Trugschluss und ein großer Irrtum. Nachts passierten jedoch weiter deutsche Truppen den Ort und quartierten sich in der Volksschule ein. Obwohl sie von den Bewohnern darauf aufmerksam gemacht wurden, dass Ostbevern bereits besetzt sei, wollten sie nicht aufgeben und den Durchbruch erzwingen und trafen nun auf US- Panzer. Es entwickelte sich am folgenden Morgen ein verhängnisvoller Straßenkampf. Mehrere Gebäude wurden zum Teil schwer beschädigt. Auch im Lehmbrock wurde gekämpft. Über die Reichsstraße nach Telgte rollten die amerikanischen Einheiten auf das Dorf zu. Am Abend brachen wiederum Kämpfe aus, die sich in die Nacht und bis zum Morgen hinzogen – bekannt als die „Nacht von Ostbevern“. Den Bewohnern bot sich am Morgen ein wüstes Bild. Zieht man eine Bilanz dieser letzten Kriegstage: 25 gefallene deutsche Soldaten, zwei tote Ungarn, 31 Verwundete, auf der anderen Seite: zwei gefallene US-Soldaten und acht Verwundete. Hinzu kamen zwei tote Zivilisten aus Ostbevern ... Und dies alles, obwohl die weiße Flagge gehisst war. Die Order der deutschen Militärs war: „Wir geben nicht auf, es wird gekämpft bis zum letzten Mann.“

Wie haben die Bewohner Ostbeverns reagiert, als Sie gehört haben, dass die Westmächte zum letzten großen Schlag ansetzten und die nächsten Tage wieder besonders gefährlich würden?

Wir alle hatten die Hoffnung, dass der Krieg bald zu Ende gehen muss.  Wir wollten auch keinen Widerstand leisten, aber die deutschen Soldaten, die sich im Ort aufhielten, wollten (oder besser gesagt durften) nicht aufgeben. Auch der Ortsgruppenleiter ordnete Gegenmaßnahmen an u. a. Panzersperren zu errichten. Die Angehörigen des Volkssturmes führten jedoch die Arbeiten sehr widerwillig aus, weil sie eben diese Verteidigungsmaßnahmen für sinnlos erachteten. So war z. B. die Meinung eines Ostbeveraners: „Wenn von der Normandie bis hierher viele breite Ströme den Feind nicht aufgehalten hätten, so würde er die schmale Bever auch wohl  überwinden.“

Wie wollte sich das Dorf gegen die Angriffe schützen? Welche Maßnahmen wurden ergriffen?

Ostbevern hatte eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen. An der Beverbrücke wurde von Volkssturmmännern eine Panzersperre errichtet, deutsche Kanoniere bauten am Dorfausgang nach Telgte Geschütze auf, es wurde auch ein Flakgeschütz am Mühlenweg und an der Rochuskapelle aufgebaut. Weitere Panzerabwehrkanonen wurden im Ort in Stellung gebracht. Am Ostersonntag, wurden die Geschütze wieder abgezogen, später jedoch wieder besetzt. Zusätzlich richteten sich zurückziehenden Militäreinheiten an verschiedenen Stellen in den Bauerschaften auf den Kampf ein. Insgesamt gab es aber bei der deutschen Truppe enorme Auflösungserscheinungen. All diese Abwehraktivitäten fanden in der breiten Bevölkerung keine Zustimmung.“

Wie haben sich die Bürger gegen die Kämpfe geschützt?

Viele Familien verließen das Dorf und quartierten sich in der Bauerschaft ein, während der Kämpfe versteckten sich sehr viele im Keller.

In den letzten Kriegstagen passierten viele Gefangenentransporte das Dorf. Was löste diese Transporte aus?

Ab 25. März 1945 kündigte sich das Näherkommen der Front aus dem Westen an. Auch verstärkte sich der Luftkrieg. Um die Gefangenen nicht in die Hände des heranrückenden Feindes fallen zu lassen wurden Gefangenentransporte und Truppentransporte nach Osten zusammengestellt, die aus dem Westmünsterland kamen. Sie mussten alle in Richtung Osten Ostbevern passieren und verstopften die Straßen des Ortes. Es war eine eilige Flucht vor den heranrückenden Westmächten. Auch die in Ostbevern befindlichen französischen, jugoslawischen und sowjetischen Kriegsgefangenen schlossen sich diesen endlosen Menschenschlangen an. Auch sonderten sich Gefangene von den Menschenschlangen wieder ab. Eine Übersicht in dem allgemeinen Durcheinander besaß niemand mehr. Die Auflösungserscheinungen der staatlichen Ordnung waren an jeder Stelle klar ersichtlich. Es herrschte regelrecht Chaos.

Hätte Ostbevern Ihrer Meinung nach etwas besser machen können, um den Krieg mit weniger Verlusten zu überstehen?

Ja jedenfalls, keine Kämpfe mehr im Ort zuzulassen und den Ort widerstandslos zu übergeben. Dies ist aus der heutigen Warte leicht zu sagen. Man war immer in Lebensgefahr und wir hatten höllische Angst.

Inwieweit hat die Erfahrung des Krieges Ihr späteres Leben und Ihr Handeln und Denken auch nach Ende des Krieges noch beeinflusst?

Wer Schlimmes und Schreckliches erlebt und Todesangst hatte, wird dies sein Leben lang nicht vergessen und sich immer daran erinnern. Der Krieg und die ständige Angst war das Schlimmste was mir in meinem langen Leben als heute 93-Jährige passierte.

Warum meinen Sie, sollte man auch heute noch über den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen nachdenken?

Ich führe mir immer vor Augen, wie schrecklich dieser Zweite Weltkrieg war. Unsere Jugend weiß gar nicht, dass in diesem Krieg Franzosen und Engländer mal unsere Feinde waren und welch schrecklichen Krieg wir gegen diese Menschen geführt haben. Bitte führt keine Kriege mehr.

Wenn Sie der Zeit der letzten Kriegstage und Ihrer Bedeutung für Sie spontan einen Filmtitel geben müssten, wie würde dieser lauten?

Hoffentlich ist der Krieg bald zu Ende!

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